
Ich werde dich immer lieben
Eine Mutter hält ihren neugeborenen Sohn in den Armen. Sie wiegte ihn hin und her, vor und zurück, wunderte sich zwar woher plötzlich diese alten Worte kommen, aber irgendwie weiß sie, dass es ab jetzt an ihr ist, sie zu singen – ganz leise:
Ich werde Dich immer lieben,
Ich werde Dich ewig lieben,
Und solange ich lebe,
Werde ich Dir Deine Mutter sein.
Der Sohn wächst heran, wird größer und größer. Als er zwei Jahre alt ist, rennt er durchs ganze Haus, reißt Bücher aus den Regalen, leert den Kühlschrank und spült die Uhr seiner Mutter. Dann seufzt die Mutter manchmal.
Aber nachts, wenn ihr Sohn endlich eingeschlafen ist, schleicht die Mutter in sein Zimmer, tritt auf Zehenspitzen an sein Bett, setzt sich zu ihm und singt ganz leise:
Ich werde Dich immer lieben,
Ich werde Dich ewig lieben,
Und solange ich lebe,
Werde ich Dir Deine Mutter sein.
Als der Sohn neun Jahre alt ist, kommt er nie zum Essen rein, wenn man ihn ruft, will nie sein Bad nehmen und wenn die Oma zu Besuch kommt, sagt er schlimme Dinge um sie zu ärgern. Dann seufzt die Mutter manchmal.
Aber nachts, wenn ihr Sohn endlich eingeschlafen ist, schleicht die Mutter in sein Zimmer, tritt auf Zehenspitzen an sein Bett, setzt sich zu ihm und singt ganz leise:
Ich werde Dich immer lieben,
Ich werde Dich ewig lieben,
Und solange ich lebe,
Werde ich Dir Deine Mutter sein.
Als der Sohn ein Teenager ist, hat er merkwürdige Freunde, ernährt sich ungesund und hört laute Musik. Dann seufzt die Mutter manchmal.
Aber an manchem Morgen, wenn ihr Sohn noch schläft, schleicht die Mutter in sein Zimmer, tritt auf Zehenspitzen an sein Bett, streicht ihm übers lange Haar und singt ganz leise:
Ich werde Dich immer lieben,
Ich werde Dich ewig lieben,
Und solange ich lebe,
Werde ich Dir Deine Mutter sein.
Als der Sohn erwachsen ist, zieht er von zu Hause aus, heiratete und wohnt in einer anderen Stadt.
Ab und zu kommt er auf Besuch, und wenn er sich dann nach dem Essen ausruht, nickt er manchmal ein. Dann tritt die Mutter auf Zehenspitzen an die Couch, streicht ihm übers wohlgeordnete Haar und singt ganz leise:
Ich werde Dich immer lieben,
Ich werde Dich ewig lieben,
Und solange ich lebe,
Werde ich Dir Deine Mutter sein.
Eines Tages ruft der Arzt den Sohn an und sagt, die Mutter sei krank und diese Nacht kritisch; er möge sie vielleicht an der Seite der Mutter verbringen. Der Sohn fährt zu seiner Mutter, will die ganze Nacht an ihrer Seite wachen, schläft dabei aber ein.
Da erwacht die Mutter, sieht ihren großen Sohn an ihrem Bett „wachen“, streicht ihm über das Haar und singt ganz leise:
Ich werde Dich immer lieben,
Ich werde Dich ewig lieben,
Und solange ich lebe,
Werde ich Dir Deine Mutter sein.
Am Morgen erwachen sie gemeinsam. Der Mutter geht es besser, sie schickt ihren Sohn nach Hause zu seiner Frau und seiner neugeborenen Tochter.
Als er am Abend heim kommt, bleibt er lange auf der Treppe stehen, tritt dann in das Zimmer, in dem seine neugeborene Tochter schläft, auf Zehenspitzen an ihr Bett, nimmt sie sanft in die Arme, wiegt sie hin und her, vor und zurück.
Er wundert sich zwar woher plötzlich diese alten Worte kommen, aber irgendwie weiß er, dass es ab jetzt an ihm ist, sie zu singen – ganz leise:
Ich werde Dich immer lieben,
Ich werde Dich ewig lieben,
Und solange ich lebe,
Werde ich Dir Dein Vater sein.